Technisches Berufskolleg putzt zum 9. November 2022

Von Schulpfarrer Jens Maßmann

Der 9. November 2022 – Im Religionsunterricht am Technischen Berufskolleg Solingen (TBK) sprechen wir über dieses Datum. Dieser Tag ragt hervor – ein geschichtsträchtiges Datum, das unter anderem in Deutschland 1989 zu viel Jubel geführt hat (Fall der Berliner Mauer). Aber der 9. November bietet in der Erinnerung auch einen sehr traurigen Anlass: am 9. November 1938 wurden Synagogen und Geschäfts- und Privathäuser jüdischer Mitbürger geplündert und zerstört, Juden wurden offen beleidigt und mussten Gewalt bis hin zum Tod erfahren. Wie damit umgehen?

Einige Stimmen fordern einen Schlussstrich, ein Ende der Debatte. Aber kann man das? Einfach das Geschehene abschütteln, als sei überhaupt nichts passiert? Und wie verhalte ich mich dazu?

Schülerinnen und Schüler der Informationstechnischen Assistenten haben sich im Vorfeld dieses Tages auf den Weg gemacht, sie haben die Lebensgeschichten derjenigen vernommen, die hinter den oft kaum wahrgenommenen sog. „Stolpersteinen“ rund um das TBK stehen. Sieben Stolpersteinorte, die an zwölf Biographien erinnern. Und die Klasse hat als Zeichen der Erinnerung die Steine geputzt und gepflegt.

Die entscheidende Frage bleibt: wie damit umgehen? Es geht nicht um Schuld – wie soll das gehen? Schuld fragt nach einer individuellen geschichtlichen Verantwortung – keiner der späteren Generationen ist hier schuldig geworden. Kurzum: die Schuldfrage führt nicht weiter.

Indem ich mich aber der Vergangenheit stelle, sie als leidvollen Teil der deutschen Geschichte wahrnehme, antworte ich, stelle mich diesem Grauen und versuche es, in meiner Gegenwart besser zu machen. Aus den Fehlern lernen, um dann Einzustehen im rechten Moment, wenn Menschenrechte in Gefahr sind – hier und weltweit.

Geputzt wurden die Steine von:

Grundschule Schützenstraße putzt Stolpersteine

Die Kinder der Grundschule Schützenstraße haben gestern mit ihrer Lehrerin Anke Tauber die Stolpersteine von Henriette Marx und Dr. Fritz Wieter geputzt, die direkt in der Nähe ihrer Schule liegen. Henriette Marx lebte seit 1936 im Altersheim an der Krahenhöhe, wo die Remagenerin wegen einer psychischen Erkrankung untergebracht war. Im Februar 1941 wurde sie zusammen mit 150 jüdischen Patient*innen nach Düsseldorf verlegt und von dort in die Tötungsanstalt in Hadamar gebracht. Den Angehörigen erzählte man, dass die Menschen in einer Anstalt bei Lublin in Polen gestorben seien.

Pfarrer Dr. Fritz Wieter war zuletzt als Pfarrer in Dorp tätig, nachdem er in Eckenhagen nur knapp einem gewaltbereiten Mob entkommen war, der seine Haltung gegen den NS-Staat als „Vaterlandsverrat“ verleumdete. Von Solingen aus wurde er als Soldat eingezogen und kam vermutlich 1943 bei einem Flugzeugabschuss auf dem Weg von Italien nach Nordafrika ums Leben.

Vogelsangschüler putzen Stolperstein von Jenny Gusyk

In dieser Woche putzte die Klasse 9a des Gymnasiums Vogelsang im Rahmen des Geschichtsunterrichts unter anderem den Stolperstein von Jenny Gusyk und beschäftigte sich mit der Geschichte der 1897 in Litauen geborenen Jüdin. 1911 flüchtete die Familie vor den russischen Pogromen und ließ sich in Gräfrath nieder.

Nach einer kaufmännischen Ausbildung war Jenny Gusyk 1919 die zweite Studentin, die sich in die neu gegründete Universität zu Köln einschrieb. Ihre Diplomarbeit verfasste sie über den französischen Sozialisten und Pazifisten Jean Jaurès und folgte nach dem erfolgreichen Abschluss dem inzwischen verwitweten Vater nach Berlin. Hier heiratete sie Karl Stucke und wurde 1927 Mutter eines Sohnes.

Karl Stucke war als Kommunist nach 1933 der permanenten Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Er starb 1940 im KZ Sachsenhausen. Nach seinem Tod verlor Jenny Stucke den Schutz durch die sogenannte „privilegierte Mischehe“ und entschied sich unterzutauchen. 1943 wurde sie nach einer Denunziation verhaftet und im Januar 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihr Sohn Thomas überlebte dank der Unterstützung politischer Weggefährten seines Vaters und wanderte nach dem Krieg in die USA aus. 2009 schrieb die Universität Köln erstmals einen Gleichstellungspreis aus, der nach der ehemaligen Studentin Jenny Gusyk benannt ist.

Schüler putzen engagiert zum Gedenken an die Pogromnacht

„Die Kinder unserer 4. Klassen hatten viel Spaß beim Putzen der Steine und haben großes Interesse gezeigt, mehr über die Menschen hinter den Steinen zu erfahren“, berichtete Lehrer Björn Beu von der Grundschule Schützenstraße, die seit neustem im Team der Stolpersteinputzpaten dabei ist und erstmals am 9. November im Gedenken an die Pogromnacht von 1938 die Messingplatten mit den Namen von Henriette Marx, Karl Mebus und Dr. Fritz Wieter an der Krahenhöhe reinigte.

Fotos: Jana Achenbach und Björn Beu

Auch die Alexander-Coppel-Gesamtschule gehörte zu den Schulen, die sich, unterstützt von der BV Mitte, am diesjährigen Putzen und Kerzenaufstellen beteiligten. Simone Sassin und die AG Jüdischer Friedhof kümmerten sich dabei nicht nur um Stolpersteine des Ehepaars Jenny und Georg Giesenow, von Hedwig Löb, Ernst Müller, Paul Schürmann und Dr. Alexander Coppel, sondern auch um das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Jenischen an der Korkenziehertrasse.

Fotos: Simone Sassin

Auch aus Ohligs und Wald erreichten uns Bilder von Cerstin Tschirner, die ein Licht für Otto Winkels aufstellte und von Hans-Günter Koch und den Naturfreunden, die an den Steinen von Hans Lichtenthäler, Ewald Peiniger, Franz Wenders und Willi Haas Kerzen anzündeten. Uli Preuss stellte in Mitte ein Licht für Albert Müller auf.

Fotos: Uli Preuss, Cerstin Tschirner, Hans-Günter Koch

Schüler:innen des Gymnasiums Schwertstraße putzten Stolpersteine in der Innenstadt, wie den von Gerd Adolf Friedberger, einem ehemaligen Schüler des Gymnasiums.

Fotos: Daniel Rahn

Schüler:innen des Technischen Berufskollegs Solingen haben ebenfalls in der Innenstadt rund um ihre Schule Stolpersteine wie die von Josef und Anna Kupperschlag an der Klemens-Horn-Straße 15 geputzt.

Fotos: Jens Maßmann

Klasse 8a des Gymnasiums Schwertstraße putzt Stolpersteine

Am 25. Juni 2021 war Lehrer Daniel Rahn vom Gymnasium Schwertstraße mit seiner Klasse 8a in der Innenstadt unterwegs und hat 14 Stolpersteine geputzt. Die Steine der Familie von Max Leven, die sonst auch von der Schule betreut werden, sind derzeit wegen Bauarbeiten „im Depot“.

Deutlich sieht man an den Vorher-Nachher-Fotos bei Mathilde Stern und Carl Friedrich Goerdeler wie die Steine nach dem Einsatz wieder glänzten.

Weiße-Rose-AG putzt Stolpersteine

Mit Zahnbürsten, Schwämmen und Metallreiniger ausgestattet, machte sich die Weiße-Rose-AG der Geschwister-Scholl-Schule am Montag, den 2. November 2020 auf den Weg, um den Stolpersteinen in Solingen zu neuem Glanz zu verhelfen.

Die Schülerinnen und Schüler teilten sich auf. Die eine Hälfte zog von der Merkurstraße 34, wo sie sich um den Stolperstein von Wilhelm Steeg, der für seine Kritik gegenüber dem nationalsozialistischen Regime zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, kümmerten, weiter in die Ohligser Fußgängerzone.

Foto: Weiße-Rose-AG

Die anderen Mitglieder machten sich derweil auf den Weg, um den Stolperstein von Oskar Strauß, der in der Kiefernstraße 6 zuhause war, 1938 Opfer des Pogroms und in Schutzhaft genommen wurde. 1939 sah er als letzten Ausweg vor den Repressalien der Nationalsozialisten den Freitod. Anschließend trafen sie sich mit den anderen Schülerinnen und Schülern auf der Düsseldorfer Straße.

Hier finden sich vor allem Stolpersteine für jüdische Opfer, die vor 1933 in Ohligs als Geschäftsleute tätig waren und in der Innenstadt ihre Waren anboten. Da wäre zum Beispiel Paul Steeg, dessen Warenhaus von seiner Tochter Grete und Schwiegersohn Walter Wertheim Anfang der 1930er Jahre übernommen worden war. Er wurde in der Pogromnacht aus der eigenen Wohnung vertrieben und starb am folgenden Tag im Israelitischen Asyl in Köln.

Der Schuhhändler Abraham Rosenbaum wurde im Oktober 1938 nach Polen abgeschoben. Von dort gelang ihm die Flucht nach Belgien, aber im November 1943 wurde er zusammen mit Tochter Lia von Paris nach Auschwitz deportiert und ermordet. Das gleiche Schicksal ereilte Karl Wallach, der ebenfalls nach Belgien geflohen war.

Julie CoopmannSimon und Henriette Meyerhoff wurden im Oktober 1941 von Köln ins Ghetto von Lodz deportiert und ermordet.

Für Jenny und Georg Davids hatte die Weiße-Rose-AG 2004 die Patenschaft übernommen. Ihr Herrenkonfektionsgeschäft wurde 1938 „arisiert“. Das Ehepaar wurde 1942 von Köln nach Ausschwitz deportiert und ermordet.

Während der Aktion kamen die Schülerinnen und Schüler mit den Passanten ins Gespräch. Einige blieben stehen und fanden gut, dass sich jemand um den Glanz der Mahnmale zur Erinnerung kümmert.

Auch die Weiße-Rose-AG war mit ihrer Arbeit sehr zufrieden und freute sich, dass die Stolpersteine nun wieder gut lesbar an die Schicksale der Opfer des nationalsozialistischen Regimes erinnern.