Stolpersteinverlegung am 4. Juni 2024

Liebe Interessent:innen zur Übernahme einer Patenschaft: alle Steine waren innerhalb kürzester Zeit vergeben, die Nachfrage war enorm! Wir können Sie gerne auf eine Warteliste setzen für Verlegungen ab 2026. Schreiben Sie uns dazu bitte eine E-Mail mit Ihren Kontaktdaten an info@max-leven-zentrum.de

In Ohligs und in der Innenstadt wird der Künstler Gunter Demnig am Dienstag, 4. Juni 2024 ab 12 Uhr 22 Stolpersteine in Anwesenheit mehrerer Nachfahren verlegen. Die Steine erinnern an verfolgte Solinger Jüdinnen und Juden und an ein Opfer der „Euthanasie“. Die Verlegung ist öffentlich. Die einzelnen Orte und der genaue Zeitplan, auch für ein begleitendes Abendprogramm, werden zeitnah bekannt gegeben.

Gunter Demnig bei einer Stolpersteinverlegung 2014 in Solingen, Foto: Daniela Tobias
Gunter Demnig bei einer Stolpersteinverlegung 2014 in Solingen, Foto: Daniela Tobias

Stolpersteinverlegung für Paul Happel

Am Samstag, 7. Mai 2022 wird an der Bismarckstr. 3a um 11 Uhr ein Stolperstein für Paul Happel verlegt.

Happel wurde am 24. Mai 1905 in Wald geboren. Der gelernte Schleifer hatte eine Beziehung mit der Jüdin Frieda Freireich, was während der NS-Zeit als „Rassenschande“ unter Strafe stand. Zum Verhängnis wurde Paul Happel, dass die Familie Freireich 1936 unter Verdacht geriet, eine kommunistische Verschwörung zu leiten. Nicht nur die Familie wurde verhaftet, sondern auch Freunde, die sich häufig im Hause Freireich aufhielten. So gelangte auch Happel am 15. April 1936 in die Fänge der Gestapo. Der Vorwurf des Hochverrats wurde schnell fallengelassen, als klar wurde, dass er ein Verhältnis mit Frieda Freireich hatte.

In der Haft entwickelte Paul Happel eine Psychose und wurde nur drei Tage nach seiner Verhaftung in die Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg überführt. Dort diagnostizierte ein Arzt bei dem ehemaligen Hilfsschüler „angeborenen Schwachsinn“, was eine Kette an fatalen Maßnahmen auslöste. Im Februar 1937 wurde er zwangssterilisiert, von August 1937 bis Januar 1938 saß er eine Haftstrafe wegen „Rassenschande“ ab. Ende 1938 wurde er erneut eingewiesen, diesmal in die Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen in Langenfeld. Am 5. Mai 1941 wurde Paul Happel von dort im Rahmen des „Euthanasie“-Programms in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht, wo er vermutlich sofort ermordet wurde.

Frieda Freireich gelang die Flucht in ihr Geburtsland Ungarn, wo sich im Februar 1943 ihre Spur in Budapest verliert. Vermutlich hat sie den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt. Der Familie von Paul Happel wurde nach dem Krieg ein Anspruch auf Wiedergutmachung verweigert, da er nicht Teil des politischen Widerstands gewesen sei.

Bei der Verlegung werden Angehörige der Familie Happel anwesend sein.

Am Nachmittag um 15 Uhr wird Dirk Rotthaus im Zentrum für verfolgte Künste auf Einladung des Max-Leven-Zentrums Solingen e. V. einen Vortrag über seinen Großvater Carl Paul Rotthaus halten, der ebenfalls Opfer der „Euthanasie“ wurde. Der Eintritt ist kostenlos.

Quelle: Armin Schulte, „Man soll mich nicht vergessen!“ Stolpersteine in Solingen, Schicksale 1933-1945, Solingen 2020, darin Paul Happel

Stolpersteinverlegung für Familie Feist

Die ursprünglich für 2020 geplante Verlegung von acht Stolpersteinen für die Familie Feist musste leider mehrfach aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden, da eine Anreise der Nachfahren aus dem Ausland nicht möglich war. Nun hat sich mit dem 150. Jahrestag der Einweihung der Solinger Synagoge ein feierlicher Anlass ergeben. Die Angehörigen werden zum Festakt am 12. März 2022 aus Deutschland, Portugal und den USA kommen.

Am Sonntag, 13. März 2022 um 10 Uhr werden zunächst vier Steine für Siegfried, Emilie, Paul und Hilde Feist an der Katternberger Straße 37 verlegt, anschließend für Alfred, Rosa, Heinz und Maria Matilda Feist an der Kölner Straße 18.

Die Brüder Siegfried, Alfred und Julius Feist führten die in den 1870er Jahren gegründete Stahlwarenfirma ihres Vaters Joseph Feist am Dickenbusch fort. Vom Handel mit Klempnerbedarf hatte sich das Geschäftsfeld mit der Zeit auf die Produktion und den Handel von Schneidwaren verlagert. Die Firma exportierte nicht nur in europäische Länder, sondern auch nach Nord- und Südamerika. Die Familie gehörte dem liberalen Solinger Bürgertum an, engagierte sich in Vereinen und Institutionen.

Alfred Feist war es wichtig, dass sein Sohn Heinz nicht nur kaufmännisches Wissen erwarb, sondern auch das Handwerk bei einem Reider lernte. Wie sein Cousin Paul reiste Heinz Feist nach der Ausbildung als Vertreter für das Familienunternehmen durch die ganze Welt.

Familienfoto der Feists. Quelle: Stadtarchiv Solingen, RS 20693

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten konnte sich die Firma Joseph Feist im Exporthandel zwar weitgehend behaupten, da sie von Boykottmaßnahmen nur wenig betroffen war. Die Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben traf die Familienmitglieder in Solingen jedoch wie alle anderen Jüdinnen und Juden. Selbst die portugiesische Ehefrau von Heinz Feist konnte, obwohl sie Katholikin war, nicht mehr ins Kino oder ins Schwimmbad gehen.

1937 zogen Heinz und Maria Matilda Feist nach Portugal. Heinz‘ Eltern Alfred und Rosel Feist fassten erst nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 den Entschluss, Deutschland zu verlassen. Ihre Wohnung war überfallen und verwüstet worden, Alfred Feist saß drei Tage im Polizeigefängnis. Die Firma verkauften sie an ehemalige Mitarbeiter, in der Hoffnung, später wieder in das Geschäft einsteigen zu können.

Alfred und Rosel Feist hatten über ihre Schwiegertochter ein Visum für Portugal erhalten. Fast ihr gesamtes Vermögen wurde vor der Ausreise vom Deutschen Reich über die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“ eingezogen. Die Familie von Siegfried Feist blieb zunächst in Solingen und regelte die Auflösung der Firma und den Verkauf des Grundbesitzes. Siegfried Feist war seit 1919 Vorsitzender der Synagogengemeinde gewesen und blieb auch nach der zwangsweisen Degradierung der Gemeinde zu einem Verein im Vorstand. 1939 zog er vom Familiensitz an der Kölner Straße zur Katternberger Straße.

Anfang 1940 flohen Siegfried und Emilie Feist nach Antwerpen. Eigentlich wollten sie von dort weiter in die USA zu ihrem Sohn Paul und Schwiegertochter Hilde emigirieren, die bereits vor der Pogromnacht Deutschland verlassen hatten. Doch die Gestapo leitete ein Verfahren zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft ein, und so fehlten die nötigen Reisepapiere. Siegfried Feist starb am 30. Dezember 1943 in Antwerpen. Seine Frau überlebte und konnte nach dem Krieg zu ihrem Sohn in die USA auswandern.

Heinz Feist gründete in Portugal einen Spielwarengroßhandel. Sein ältester Sohn Pedro saß als Abgeordneter im portugiesischen Parlament und kandidierte für das Bürgermeisteramt von Lissabon.

Quellen:
– Solinger Geschichtswerkstatt – Manfred Krause (Hrsg.): „…dass ich die Stätte des Glückes vor meinem Tode verlassen müsste“ – Beiträge zur Geschichte jüdischen Lebens in Solingen, Leverkusen 2000, S. 336 ff
– Kulke, Willi: „Wir waren eine angesehene Familie“, Die Geschichte der Familie Feist in Solingen von 1847-1994, Solingen 1996

Erinnerung an Paul Rux in Aufderhöhe

Es war der 123. Stolperstein, der in Solingen verlegt wurde, aber der erste im Stadtteil Aufderhöhe: an der Höhscheider Straße 135 erinnert seit dem 12. Oktober 2021 ein Stein des Künstlers Gunter Demnig an den Widerstandskämpfer Paul Rux.

Stolperstein für Paul Rux neben einem Foto der Familie Rux, vl.: Paul, Günter, Ellen und Else Rux.

Bis kurz vor seinem Tod 1997 lebte Paul Rux in dem Haus, das früher einmal eine Werkswohnung des Unternehmens eines Verwandten am Landwehr war, wo auch er als gelernter Schlosser arbeitete. Im Alter von 22 Jahren wurde der Kommunist 1933 verhaftet und in das KZ Kemna in Wuppertal-Beyenburg verschleppt, wo er Gewaltexzesse des Wachpersonals erlebte. Lagerhaft und Zuchthaus folgten. Eine sehr belastende Zeit für seine Frau Else, die ab 1942 wieder ohne ihn zurecht kommen musste, da das Regime Paul Rux in das „Bewährungsbataillon 999“ einzog und an die Front schickte. Mit viel Glück überlebte er und geriet schließlich in Kriegsgefangenschaft.

Rote Jungfront, der Jugendverband des RFB, Abteilung Wald, 1927, Paul Rux: 4. v. l., Quelle: Thomas Schmidt

So lernte Ellen Müller ihren Vater Paul Rux erst als 4jährige kennen und empfand den fremden Mann zunächst als Eindringling. „Er hat es aber mit viel Geduld und Liebe geschafft, mein Herz zu gewinnen. Ich denke heute noch jeden Tag an meinen Papa“, beschreibt sie die innige Beziehung, die sich bald entwickelte. Enkel Michael Rux, dessen Vater Günter acht Jahre alt war, als Paul Rux zurück nach Solingen kam, weiß, dass es dem Großvater schwer fiel über das Erlebte in der Kemna zu sprechen. Paul und Else Rux sahen es dennoch als ihre Pflicht an, sich nach dem Krieg in der VVN-BdA für eine Verfolgung der NS-Verbrechen und eine Aufarbeitung einzusetzen.

Enkel Thomas Schmidt mit dem Stolperstein seines Großvaters, rechts: Michael Sandmöller vom Unterstützerkreis Stolpersteine für Solingen.

Enkel Thomas Schmidt betonte in seiner Ansprache, die er im Namen der Angehörigen hielt, dass die Rolle und der Einsatz der Frauen zu oft in Vergessenheit gerate. Else Rux war es, die sich ganz allein mit den beiden Kindern durchschlagen musste, wenn ihr Mann in Haft war, ohne staatliche Unterstützung, dafür aber von den Nachbarn als Kommunistin beschimpft und ausgegrenzt. Sie hielt dennoch zu ihrem Mann und versuchte ihren Kindern trotzdem eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen.

Nicht nur Familienangehörige sondern auch Mitglieder der Solinger Gruppe der VVN, des Unterstützerkreises Stolpersteine für Solingen und des Max-Leven-Zentrums Solingen waren zur Verlegung gekommen,

Marita Süßenbach, die Patin des Stolpersteins, hatte sich, nachdem sie den Stein zugeteilt bekommen hatte, eingehend mit der Biographie von Paul Rux befasst. „Auch wenn ich politisch anders verortet bin oder vielleicht gerade deswegen, ist es mir ein Anliegen, an Menschen wie Paul Rux zu erinnern, die sich mutig gegen das NS-Regime gestellt haben. Gerade heute ist es so wichtig, deutlich zu machen, dass wir zusammenstehen müssen gegen rechtes Gedankengut und für Demokratie und Toleranz.“

Ellen Müller (2.v.l.) mit Angehörigen und der Stolpersteinpatin Marita Süßenbach (rechts).

 

Stolpersteinverlegung für Paul Rux

Am Dienstag, 12. Oktober 2021 um 16 Uhr wird an der Höhscheider Straße 135 ein Stolperstein für den Widerstandskämpfer Paul Rux verlegt. Er gehörte zu den ersten politisch Verfolgten, die 1933 im KZ Kemna den sadistischen Folterungen der Wachmannschaften ausgeliefert wurden. Es folgten Aufenthalte im Strafarbeitslager Börgermoor im Emsland und Isolationshaft im Zuchthaus Lüttringhausen. Nach seiner Entlassung stand der Schlosser unter ständiger Beobachtung der Gestapo. Den Krieg überlebte er als Angehöriger des „Bewährungsbataillons 999“ nur durch einen glücklichen Zufall. In der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) setzte sich Rux nach dem Krieg für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Solingen ein. Er war weiterhin politisch in der KPD und später in der DKP tätig. Er und seine Frau waren aktive Mitglieder bei den Naturfreunden. An der Verlegung werden auch Nachfahren von Paul Rux teilnehmen.

Paul Rux mit seiner Frau Else und seinen beiden Kindern in den 1950er Jahren. Foto: Thomas Schmidt

 

Gedenken und Stolpersteinverlegung am Neumarkt

Stolpersteine für Familie Brauer. Foto: Daniela Tobias

Am Neumarkt wurde am Abend des 13. Juli 2021 ein Stolperstein für Hedwig Brauer verlegt. Damit erinnerten der Solinger Appell, der Unterstützerkreis Stolpersteine für Solingen und das Max-Leven-Zentrum Solingen an die Opfer des Pogroms vom Pfaffenberger Weg vor genau 80 Jahren. Auch die Witwe Hedwig Brauer zählte zu den sechs Juden und Jüdinnen, die in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1941 in dem sogenannten „Judenhaus“ von Parteimitgliedern brutal überfallen wurden.

Die Historiker Stephan Stracke und Armin Schulte erinnerten an die Vorgeschichte der Verfolgung der betroffenen Familien durch das NS-System, die bereits viel früher einsetzte und zu Ausgrenzung und Entrechtung und schließlich in die Vernichtung führte. Oberbürgermeister Tim Kurzbach mahnte, dass es auch heute schon wieder Mut und Zivilcourage brauche, sich gegen Antisemitismus zu stellen und Bedrohungen auszuhalten. Erst kürzlich war eine israelische Flagge am Rathaus, die am Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland gehisst worden war, von unbekannten Tätern heruntergerissen und verbrannt worden.

Das Solinger Tageblatt berichtete am 14. Juli 2021: „Opfer des Pogroms am Pfaffenberg: Ein Stolperstein für Hedwig Brauer“

Sylvia Löhrmann als Patin des Stolpersteins betonte, dass das Erinnern eine wichtige Aufgabe sei, um Verantwortung für die Zukunft übernehmen zu können. Wenn Gegner:innen von Corona-Schutzmaßnahmen sich gleich Anne Frank als Opfer einer Diktatur darstellten, brauche es entschiedenen Widerspruch. Stolpersteine leisteten einen wichtigen Beitrag, um Jugendliche für die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit zu interessieren. Es sei aber wichtig, jüdische Geschichte nicht allein aus der Opferperspektive zu sehen, sondern die Vielfalt jüdischen Lebens zu allen Zeiten zu vermitteln. Sie ist Generalsekretärin des Vereins „321 – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.

Die etwa 50 Besucher:innen konnten glücklicherweise noch ohne Schirm und Regenjacke an der Gedenkveranstaltung teilnehmen, nicht ahnend, welche Wassermassen sich nur wenige Stunden später über Solingen und das Bergische Land ergießen sollten. Wir danken Luca Miedek für seine stimmungsvolle Begleitung am Cello, Armin Schulte und Stephan Stracke für die eindringlichen Vorträge zu den historischen Hintergründen, Falk Dornseifer für die Organisation von Strom und Ton und dem Projekt AQUARIS von der Hasseldelle für die Vorbereitung der Stolpersteinverlegung.

Fotos: Daniela Tobias